Begrabene Gassen
Ornamente brauchen
kein Inhaltsverzeichnis.
Aber heißt euch deshalb
das schnöde,
das lieblose
Schichten rauer Seide und
stumpfen Samtes
Schöngeist?
Kein Turm transzendiert,
wenn pure Effizienz der Mörtel ist.
Harte Linien schlagen nur graue Wunden -
in den Himmel;
in die Städte.
Ornamente brauchen
kein Inhaltsverzeichnis.
Aber heißt euch deshalb
das schnöde,
das lieblose
Schichten rauer Seide und
stumpfen Samtes
Schöngeist?
Kein Turm transzendiert,
wenn pure Effizienz der Mörtel ist.
Harte Linien schlagen nur graue Wunden -
in den Himmel;
in die Städte.
Dornenschmerz
"Prinz der Dornen"
schimpfen sie ihn,
blind ob der Tatsache,
dass Evolution stets
Anpassung meint.
"Prinz der Dornen"
schimpfen sie ihn,
blind ob der Tatsache,
dass Evolution stets
Anpassung meint.
Falsche Galeristen
Grüne Töne fließen kakophon
über den Asphalt.
Junger Tau zittert zornig
unter jeder schwarzen Silbe,
die das Netz zum Schwingen zwingt.
Rot treten weiße Gedanken aus
und graustarre Augen werden weit.
Welt wird Gemälde,
von stummen und stimmen Spuren gezeichnet.
Doch unsere Galeristen verstehen nichts von Kunst.
Sie glauben nur, das Herrschen zu beherrschen.
Grüne Töne fließen kakophon
über den Asphalt.
Junger Tau zittert zornig
unter jeder schwarzen Silbe,
die das Netz zum Schwingen zwingt.
Rot treten weiße Gedanken aus
und graustarre Augen werden weit.
Welt wird Gemälde,
von stummen und stimmen Spuren gezeichnet.
Doch unsere Galeristen verstehen nichts von Kunst.
Sie glauben nur, das Herrschen zu beherrschen.
Auf dem Weg
Chemie ist keine gute Umgebung.
Vielleicht ein soziales Experiment?
Soll ich das Ding mit dem Bombenprank durchziehen
oder doch dem gelben Wurm vertrauen?
Du zeigst ihr Spargeleis und ich zweifle an der Menschheit.
Ich will nicht aufstehen. Zu Hause sein; nicht nach Hause fahren.
Ein Fleck auf deiner braunen Tasche spricht eine mir unbekannte Zunge.
Missgunst schielt mich an.
"Keine Liebe" propagiert dein Pullover. Bevor du ihn küsst.
Ein Klavier steckt in meinen Fingern
doch mir fehlen siebzig Gramm
gleich achtundachzig mal.
Ich will zu Hause sein; nicht nach Hause fahren.
Chemie ist keine gute Umgebung.
Vielleicht ein soziales Experiment?
Soll ich das Ding mit dem Bombenprank durchziehen
oder doch dem gelben Wurm vertrauen?
Du zeigst ihr Spargeleis und ich zweifle an der Menschheit.
Ich will nicht aufstehen. Zu Hause sein; nicht nach Hause fahren.
Ein Fleck auf deiner braunen Tasche spricht eine mir unbekannte Zunge.
Missgunst schielt mich an.
"Keine Liebe" propagiert dein Pullover. Bevor du ihn küsst.
Ein Klavier steckt in meinen Fingern
doch mir fehlen siebzig Gramm
gleich achtundachzig mal.
Ich will zu Hause sein; nicht nach Hause fahren.
Frühdienst
Die Stille sonst hektischer Räume entfacht ein kurzes Flackern des Selbst, bevor der geschäftige Sturm losbricht. Noch ein letzter Hauch von Morgendunkel und Tauodem, bevor du adipöse Akten atmest. Das junge Haus flüstert noch eine geheime Silbe, bevor es mit dir unter flutendem Alltag; in dröger Routine ertrinkt.
Die Stille sonst hektischer Räume entfacht ein kurzes Flackern des Selbst, bevor der geschäftige Sturm losbricht. Noch ein letzter Hauch von Morgendunkel und Tauodem, bevor du adipöse Akten atmest. Das junge Haus flüstert noch eine geheime Silbe, bevor es mit dir unter flutendem Alltag; in dröger Routine ertrinkt.
pfade zwischen wand und wurzeln
das goldene rad ist ein hinterhältiges
auge
ich rüste mich in einen harnisch aus
eis
die nähe vernimmt schon mein kaltes
schweigen
ist ein panzer aus dem letzten winter
wirklich eine gute wahl?
mein scherbener blick schweift zwischen einer sehnsucht nach
leere und erfüllung.
ich finde den kleiderschrank mit der
verheißungsvollen rückwand.
soll ich sie durchschreiten oder mich endlich den
wurzeln schenken?
mir fehlt die kraft,
mich für die klugen pfade zwischen
wand und wurzeln
zu entscheiden.
das goldene rad ist ein hinterhältiges
auge
ich rüste mich in einen harnisch aus
eis
die nähe vernimmt schon mein kaltes
schweigen
ist ein panzer aus dem letzten winter
wirklich eine gute wahl?
mein scherbener blick schweift zwischen einer sehnsucht nach
leere und erfüllung.
ich finde den kleiderschrank mit der
verheißungsvollen rückwand.
soll ich sie durchschreiten oder mich endlich den
wurzeln schenken?
mir fehlt die kraft,
mich für die klugen pfade zwischen
wand und wurzeln
zu entscheiden.
Altrosa
Ein schlanker Turm von Dreiecken
mahnt in umwölkten Stahl
Projezierte Gedankenmütter
hemmen die Grenzen zwischen
scheinehrwürdigen Schreibtischen
Doch: Alte Männerhände werden
von Kindeszunge abgekanzelt
Der Schatten ist bunt, von schwarzer Welt
in Nuancen und Schichten vieler Farben angestrichen
Das Mondlicht offenbart eine Facette
in Altrosa
Zeit für amüsierte Wehrhaftigkeit
Zeit für verständigen Gleichmut
Ein schlanker Turm von Dreiecken
mahnt in umwölkten Stahl -
und Altrosa kann mich mal
Ein schlanker Turm von Dreiecken
mahnt in umwölkten Stahl
Projezierte Gedankenmütter
hemmen die Grenzen zwischen
scheinehrwürdigen Schreibtischen
Doch: Alte Männerhände werden
von Kindeszunge abgekanzelt
Der Schatten ist bunt, von schwarzer Welt
in Nuancen und Schichten vieler Farben angestrichen
Das Mondlicht offenbart eine Facette
in Altrosa
Zeit für amüsierte Wehrhaftigkeit
Zeit für verständigen Gleichmut
Ein schlanker Turm von Dreiecken
mahnt in umwölkten Stahl -
und Altrosa kann mich mal
Ungewollter Kaffee
Seit Monaten kommst du stets zu mir, wenn du Hilfe brauchst.
Du hast in einem Swingerclub geputzt. Bilder von dir
mit jungen, schönen Männern in deinem Portmonnaie -
Zeugen einer Lebensfreude, die der Krebs deines Geliebten
vor Jahren aufgefressen hat.
Du sitzt auf meinem Stuhl in kühlem Zug.
Sie ist wieder bei dir eingebrochen, beteuerst du.
Deine Stimme nimmt diesen leicht fauchend nagenden
Flüsterton an, der Verschwörungstheorien
oft begleitet.
Die Polizei glaubt dir nicht,
obwohl dein Nachbar sie gesehen habe.
Dein Nachbar, der fast nie zu Hause ist.
Du bietest mir fünfzig Euro.
Für eine Falschaussage.
Ich lehne dankend ab und
weise ironisch grinsend darauf hin,
dass du dir meinen Tarif für Straftaten nicht leisten kannst.
Ich finde deinen Schlüssel, wir haben
umsonst gewartet, umsonst bezahlt.
Umsonst gebangt. Doch nun weiß ich
mehr über einen Menschen,
der mir nahe wohnt.
Meine Diagnose: Liebenswert dement.
Seit Monaten kommst du stets zu mir, wenn du Hilfe brauchst.
Du hast in einem Swingerclub geputzt. Bilder von dir
mit jungen, schönen Männern in deinem Portmonnaie -
Zeugen einer Lebensfreude, die der Krebs deines Geliebten
vor Jahren aufgefressen hat.
Du sitzt auf meinem Stuhl in kühlem Zug.
Sie ist wieder bei dir eingebrochen, beteuerst du.
Deine Stimme nimmt diesen leicht fauchend nagenden
Flüsterton an, der Verschwörungstheorien
oft begleitet.
Die Polizei glaubt dir nicht,
obwohl dein Nachbar sie gesehen habe.
Dein Nachbar, der fast nie zu Hause ist.
Du bietest mir fünfzig Euro.
Für eine Falschaussage.
Ich lehne dankend ab und
weise ironisch grinsend darauf hin,
dass du dir meinen Tarif für Straftaten nicht leisten kannst.
Ich finde deinen Schlüssel, wir haben
umsonst gewartet, umsonst bezahlt.
Umsonst gebangt. Doch nun weiß ich
mehr über einen Menschen,
der mir nahe wohnt.
Meine Diagnose: Liebenswert dement.
Unsterblichkeit gesucht
Ich habe am 12. Februar 2005 meine Unsterblichkeit in Rangsdorf verloren, vermutlich irgendwo auf dem Gelände der Oberschule.
Sie ist etwa 1,55 m groß, wiegt circa 40 kg und hat eine auffällig große Nase. Leider ist mir das Fehlen meiner Unsterblichkeit erst jetzt aufgefallen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemandem diese für mich sehr wichtige Essenz von sentimentalem Wert in die Hände fällt ... Bitte melde dich unter: 0176/wasmacheicheigentlichmitmeinemleben. Finderlohn verhandelbar.
Ich habe am 12. Februar 2005 meine Unsterblichkeit in Rangsdorf verloren, vermutlich irgendwo auf dem Gelände der Oberschule.
Sie ist etwa 1,55 m groß, wiegt circa 40 kg und hat eine auffällig große Nase. Leider ist mir das Fehlen meiner Unsterblichkeit erst jetzt aufgefallen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemandem diese für mich sehr wichtige Essenz von sentimentalem Wert in die Hände fällt ... Bitte melde dich unter: 0176/wasmacheicheigentlichmitmeinemleben. Finderlohn verhandelbar.
Wo ist der Mut?
Ich stehe vor dir, will eine Begrüßung
auf deine Lippen hauchen.
Ich stehe vor dir, will eine Begrüßung
auf deine Lippen hauchen.
Doch ich traue mich nicht.
Denn eine bemannte Leiter steht im Bad.
Mein stürmischer, unbequemer Trotz
ertrinkt in Unsicherheit.
Ich will mich den Worten
kluger Menschen widmen.
Mein stürmischer, unbequemer Trotz
ertrinkt in Unsicherheit.
Ich will mich den Worten
kluger Menschen widmen.
Doch ich traue mich nicht.
Jene Freude, die ausschließlich
außerhalb des Equilibriums liegt,
erstickt unter der Last (ein)gebildeter Unwissenheit.
Zwei Bänder singen durch das Labyrinth -
doch eines blieb zu lange stumm.
Der Mut ist im Morast des Moll versunken,
ist nicht mehr aufzufinden.
Ich habe angefangen, mich abzufinden.
Doch vom Gebrüll des Löwen hab ich
noch ein lebensdurstiges Katzenflüstern in Dur.
Der Mut ist tot, doch die Wahl der Tonart bleibt.
außerhalb des Equilibriums liegt,
erstickt unter der Last (ein)gebildeter Unwissenheit.
Zwei Bänder singen durch das Labyrinth -
doch eines blieb zu lange stumm.
Der Mut ist im Morast des Moll versunken,
ist nicht mehr aufzufinden.
Ich habe angefangen, mich abzufinden.
Doch vom Gebrüll des Löwen hab ich
noch ein lebensdurstiges Katzenflüstern in Dur.
Der Mut ist tot, doch die Wahl der Tonart bleibt.
Krone und Klinge zum Geschenk
Wenn ich bewehrt mit fahler Mondsichel und bleichem Dolch aus Knochen in meine Finsternis tauche; meinen Schatten zum Tanz auffordere ...
Was werde ich dann finden?
Wen werde ich dort finden?
Wenn ich bewehrt mit fahler Mondsichel und bleichem Dolch aus Knochen in meine Finsternis tauche; meinen Schatten zum Tanz auffordere ...
Was werde ich dann finden?
Wen werde ich dort finden?
Schlaflos in der Uni
Oft schon fürchtete ich die Konsequenzen meines potentiellen Scheiterns; das, was nach dem Versagen kommt. Doch nun drängt sich die Erkenntnis auf, dass die Aussicht auf Erfolg so manches Mal das größere Schreckgespenst zu sein vermag.
Oft schon fürchtete ich die Konsequenzen meines potentiellen Scheiterns; das, was nach dem Versagen kommt. Doch nun drängt sich die Erkenntnis auf, dass die Aussicht auf Erfolg so manches Mal das größere Schreckgespenst zu sein vermag.
Zerschelle!
Ich liebte dich. Deshalb musste ich fallen.
Ich fiel, in deinen harten Laken zerschlagen.
Nun ist es an mir, die Scherben meines Geistes aufzusammeln.
Die fehlenden Teile zu finden.
Das Puzzle zu lösen.
Ein Rätsel; eine Mühsal,
deren Jahre Dauer allmählich
glasknirschend meine Geduld herausfordert.
Du zertrümmerst
Würde mit deiner Art zu lieben,
du suchst dir gläserne Kinder,
welche du dir hörig brechen kannst.
Jahre, nachdem der Superkleber zu trocknen
beginnt,
höre ich, du hast dir ein weiteres,
ein gläsernes Kind aufgetan.
Wann wachst du auf
und erkennst, dass Gewalt und Tyrannei
mit Liebe nicht gemein sind?
Ich denke, das wirst du nicht,
willst du nicht,
kannst du nicht. Denn
du bist blind und dem Dämon entsprungen,
der sich dysfunktionale Familie schimpft.
Doch ist dieser Dämon nur ein Grund,
kann als Entschuldigung nicht gelten.
Ich bin ein schlechter Mensch,
wenn ich dies fordere.
Dennoch gebiete ich dir:
Bei allen Göttern der Pest; Zerschelle!
Ich liebte dich. Deshalb musste ich fallen.
Ich fiel, in deinen harten Laken zerschlagen.
Nun ist es an mir, die Scherben meines Geistes aufzusammeln.
Die fehlenden Teile zu finden.
Das Puzzle zu lösen.
Ein Rätsel; eine Mühsal,
deren Jahre Dauer allmählich
glasknirschend meine Geduld herausfordert.
Du zertrümmerst
Würde mit deiner Art zu lieben,
du suchst dir gläserne Kinder,
welche du dir hörig brechen kannst.
Jahre, nachdem der Superkleber zu trocknen
beginnt,
höre ich, du hast dir ein weiteres,
ein gläsernes Kind aufgetan.
Wann wachst du auf
und erkennst, dass Gewalt und Tyrannei
mit Liebe nicht gemein sind?
Ich denke, das wirst du nicht,
willst du nicht,
kannst du nicht. Denn
du bist blind und dem Dämon entsprungen,
der sich dysfunktionale Familie schimpft.
Doch ist dieser Dämon nur ein Grund,
kann als Entschuldigung nicht gelten.
Ich bin ein schlechter Mensch,
wenn ich dies fordere.
Dennoch gebiete ich dir:
Bei allen Göttern der Pest; Zerschelle!
Dämmerung
Wenn ich aus der nächtlichen Dunkelheit steige,
entlarvt die Morgenröte die Welt als Donnerkuppel.
Ich bin ein Gladiator,
der gegen Formulare kämpft.
Wenn die Dämmerung Schlacht
und das Leben Kolosseum ist,
fällt es schwer,
nicht Gute Nacht zu wünschen.
Wenn ich aus der nächtlichen Dunkelheit steige,
entlarvt die Morgenröte die Welt als Donnerkuppel.
Ich bin ein Gladiator,
der gegen Formulare kämpft.
Wenn die Dämmerung Schlacht
und das Leben Kolosseum ist,
fällt es schwer,
nicht Gute Nacht zu wünschen.
Unsichtbar
Ich lege meinen Harnisch aus Spitze an und werde jemand anderes; trete aus mir selbst heraus; trete hinaus in die städtische Nachtluft. Es fröstelt mich, jedoch nicht wegen des kühlen Herbstwindes. Es ist die Aussicht auf fremde, grobe, kalte Hände, die mir einen Schauer über den Rücken jagt. Drohende, grobe, kalte Hände, die mich festhalten, an mir zerren, mich niederzwingen. Streckte sich nur eine einzige warme Hand nach mir aus, vielleicht fände ich in dieser Wärme die Kraft und den Mut, meine Ketten zu sprengen. Doch wird mir niemand eine Hand reichen. Denn bin ich kein Objekt, bin ich unsichtbar; wertlos.
Ich lege meinen Harnisch aus Spitze an und werde jemand anderes; trete aus mir selbst heraus; trete hinaus in die städtische Nachtluft. Es fröstelt mich, jedoch nicht wegen des kühlen Herbstwindes. Es ist die Aussicht auf fremde, grobe, kalte Hände, die mir einen Schauer über den Rücken jagt. Drohende, grobe, kalte Hände, die mich festhalten, an mir zerren, mich niederzwingen. Streckte sich nur eine einzige warme Hand nach mir aus, vielleicht fände ich in dieser Wärme die Kraft und den Mut, meine Ketten zu sprengen. Doch wird mir niemand eine Hand reichen. Denn bin ich kein Objekt, bin ich unsichtbar; wertlos.
Mein Norden
Zu spät bemerkte ich, dass mein Kompass nicht in meinen Norden weist. Nun bebt die Nadel untentschlossen unter kaltem Glas - ich bin verloren. Richtende Blicke drängen mich voran - auf einem Pfad, der nicht mehr meiner ist.
Ich wende mich ab und erkenne, was tatsächlich wichtig ist - Atem, Knochen, Fleisch. Alles andere findet sich. Denn das, was wirklich zählt, das lässt sich nicht zählen. Mein Blick dringt tief, in den Kompass in meiner Hand und das kalte Glas zerspringt; die Nadel ist befreit. Mit blutigen Fingern lasse ich den nutzlosen Navigator fallen. Von nun an wird meine Intuition mein unfehlbarer Kompass sein.
Zu spät bemerkte ich, dass mein Kompass nicht in meinen Norden weist. Nun bebt die Nadel untentschlossen unter kaltem Glas - ich bin verloren. Richtende Blicke drängen mich voran - auf einem Pfad, der nicht mehr meiner ist.
Ich wende mich ab und erkenne, was tatsächlich wichtig ist - Atem, Knochen, Fleisch. Alles andere findet sich. Denn das, was wirklich zählt, das lässt sich nicht zählen. Mein Blick dringt tief, in den Kompass in meiner Hand und das kalte Glas zerspringt; die Nadel ist befreit. Mit blutigen Fingern lasse ich den nutzlosen Navigator fallen. Von nun an wird meine Intuition mein unfehlbarer Kompass sein.
Ein Tag?
Dies ist ein Tag
zum Feiern.
Weiße Bänder, weiße Blumen, weißes Kleid als Antlitz der Hoffnung.
Dies ist ein Tag zum Feiern -
denn Freudentränen reflektieren das Licht der Sonne.
Dies ist ein Tag
des Stillstands.
Graue Mauern, graue Gesichter, graue Bürokraten mit Stempeln bewaffnet.
Dies ist ein Tag des Stillstands -
denn ihr haltet uns auf und lasst uns nicht ein.
Dies ist ein Tag
der Freude.
Bunte Girlanden, bunte Kerzen, buntes Konfetti in der Luft.
Dies ist ein Tag der Freude -
denn wer hätte gedacht, dass sie älter als zehn werden könnte?
Dies ist ein Tag
der Vergeltung.
Schwarze Robe, schwarze Kerzen, schwarze Worte in der Nacht.
Dies ist ein Tag der Vergeltung -
denn ich strafe dich für das, was du mir angetan.
Dies ist ein Tag
der Ruhe.
Grüne Jogginghose, grüner Tee, grüner Wald lebendig vor dem Fenster.
Dies ist ein Tag der Ruhe -
denn er macht Pause von der lauten Welt.
Dies ist ein Tag
des Sterbens.
Rotes Bandana, roter Nagellack, rotes Blut sickert durch die Schuluniform.
Dies ist ein Tag des Sterbens -
denn im Klassenzimmer stinkt es nach Rauch und Tod.
Vierundzwanzig Stunden – ein Gleichnis für mehr als siebenmilliarden Tage. Ist das nicht schrecklichschön?
Dies ist ein Tag
zum Feiern.
Weiße Bänder, weiße Blumen, weißes Kleid als Antlitz der Hoffnung.
Dies ist ein Tag zum Feiern -
denn Freudentränen reflektieren das Licht der Sonne.
Dies ist ein Tag
des Stillstands.
Graue Mauern, graue Gesichter, graue Bürokraten mit Stempeln bewaffnet.
Dies ist ein Tag des Stillstands -
denn ihr haltet uns auf und lasst uns nicht ein.
Dies ist ein Tag
der Freude.
Bunte Girlanden, bunte Kerzen, buntes Konfetti in der Luft.
Dies ist ein Tag der Freude -
denn wer hätte gedacht, dass sie älter als zehn werden könnte?
Dies ist ein Tag
der Vergeltung.
Schwarze Robe, schwarze Kerzen, schwarze Worte in der Nacht.
Dies ist ein Tag der Vergeltung -
denn ich strafe dich für das, was du mir angetan.
Dies ist ein Tag
der Ruhe.
Grüne Jogginghose, grüner Tee, grüner Wald lebendig vor dem Fenster.
Dies ist ein Tag der Ruhe -
denn er macht Pause von der lauten Welt.
Dies ist ein Tag
des Sterbens.
Rotes Bandana, roter Nagellack, rotes Blut sickert durch die Schuluniform.
Dies ist ein Tag des Sterbens -
denn im Klassenzimmer stinkt es nach Rauch und Tod.
Vierundzwanzig Stunden – ein Gleichnis für mehr als siebenmilliarden Tage. Ist das nicht schrecklichschön?
Die Vigilanz verloht
Glühend brichst du, brennend unter meine Haut;
in schwelendem Rausch überrennst du diese letzte Feste.
Die letzte Wacht senkt bezwungen ihren Blick.
Wir stürzen in flammende Laken –
ich gebe auf und deine Haut wird mein.
Glühend brichst du, brennend unter meine Haut;
in schwelendem Rausch überrennst du diese letzte Feste.
Die letzte Wacht senkt bezwungen ihren Blick.
Wir stürzen in flammende Laken –
ich gebe auf und deine Haut wird mein.
Schienen in Mordors Wäldern
Der Sommertag ist klar und heiter,
der Wald liegt wohlig still.
Will ich wirklich, was ich will?
Die Schienen sind für mich bereit -
mein vielleicht letzter Weg.
Ich weile eine Weile an des Hades' Steg.
Von meinen elf Wintern
war der letzte mir der grimmste,
als der Kinder Finsternis boshaft mir entgegengrinste.
Wenn ich länger bleibe,
bleiben für folgende Jahre keine Tränen mehr.
Das beste scheint mir, wenn ich Welt und Finsternis den Rücken kehr'.
Doch was bleibt, wenn ich nun geh?
Braune Erde, von Tränen durchdrungen.
Der Kinder Finsternis hätte mich bezwungen.
Nein, diesen Sieg überlasse ich euch nicht!
Ich bleibe; aus purem Trotz
als Stachel in eurem Kopf.
Gift gegen Gift;
Feuer gegen Feuer.
Schmerz schmiedete meine Finsternis zum größ'ren Ungeheuer.
Ich lasse die Schienen hinter mir;
erkläre das Kaff zu meinem Schlachtfeld.
Seid gewiss: Ich werde der letzte sein, der in diesem Kriege fällt.
Der Sommertag ist klar und heiter,
der Wald liegt wohlig still.
Will ich wirklich, was ich will?
Die Schienen sind für mich bereit -
mein vielleicht letzter Weg.
Ich weile eine Weile an des Hades' Steg.
Von meinen elf Wintern
war der letzte mir der grimmste,
als der Kinder Finsternis boshaft mir entgegengrinste.
Wenn ich länger bleibe,
bleiben für folgende Jahre keine Tränen mehr.
Das beste scheint mir, wenn ich Welt und Finsternis den Rücken kehr'.
Doch was bleibt, wenn ich nun geh?
Braune Erde, von Tränen durchdrungen.
Der Kinder Finsternis hätte mich bezwungen.
Nein, diesen Sieg überlasse ich euch nicht!
Ich bleibe; aus purem Trotz
als Stachel in eurem Kopf.
Gift gegen Gift;
Feuer gegen Feuer.
Schmerz schmiedete meine Finsternis zum größ'ren Ungeheuer.
Ich lasse die Schienen hinter mir;
erkläre das Kaff zu meinem Schlachtfeld.
Seid gewiss: Ich werde der letzte sein, der in diesem Kriege fällt.
Erwerbsarbeit
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Seit ein paar Tagen hat der Idealismus Sprünge.
Eine Ahnung von Scherben droht
leise schreiend am Horizont.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Die morgendliche Dunkelheit ist mir Mantel und Schild,
in wenigen Minuten muss ich leuchten;
nur für andere strahlen.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Evaluation und neue Konzepte,
zum Kindeswohl natürlich -
schön; auch dem Personal erzählt man Märchen.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Die Stirn steht in Flammen,
die brüchige Stimme lechzt nach dem in der Hektik
erkaltenden Salbeitee.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
So ist das im Winter eben.
Fünfzig Kinder nur zu zweit?
„Kein Problem!“ Kein Problem? Keine Wahl.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Ist das hier nicht schon hart genug?
Warum stählt ihr diese endlosen Tage
mit adamantenen Worten noch mehr?
Freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Bekannte Gesichter ergreifen die Flucht.
Was zurückbleibt sind
Schuldige und Ungewissheit.
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Mein Name, so oft am Tag gerufen,
hat jede Bedeutung verloren.
Auch im sozialen Bereich ist jeder ersetzbar.
Der soziale Bereich ist irgendwie asozial.
Pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
1275,89 € netto sind mein Scheiterhaufen,
zehren mich auf,
schüren in mir Menschenzorn und Menschenhass.
Durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Durchhalten. Meine Seele schreit
und hustet Rost. Ich will fliehen, will etwas tun, aber ...
Ich muss. Es sind nur noch dreiundvierzig Jahre.
Ich muss.
Durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
...
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Seit ein paar Tagen hat der Idealismus Sprünge.
Eine Ahnung von Scherben droht
leise schreiend am Horizont.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Die morgendliche Dunkelheit ist mir Mantel und Schild,
in wenigen Minuten muss ich leuchten;
nur für andere strahlen.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Evaluation und neue Konzepte,
zum Kindeswohl natürlich -
schön; auch dem Personal erzählt man Märchen.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Die Stirn steht in Flammen,
die brüchige Stimme lechzt nach dem in der Hektik
erkaltenden Salbeitee.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
So ist das im Winter eben.
Fünfzig Kinder nur zu zweit?
„Kein Problem!“ Kein Problem? Keine Wahl.
Präsenz zeigen, freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Ist das hier nicht schon hart genug?
Warum stählt ihr diese endlosen Tage
mit adamantenen Worten noch mehr?
Freundlich bleiben,
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Bekannte Gesichter ergreifen die Flucht.
Was zurückbleibt sind
Schuldige und Ungewissheit.
Rituale einhalten, pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Mein Name, so oft am Tag gerufen,
hat jede Bedeutung verloren.
Auch im sozialen Bereich ist jeder ersetzbar.
Der soziale Bereich ist irgendwie asozial.
Pädagogisch wertvoll walten -
durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
1275,89 € netto sind mein Scheiterhaufen,
zehren mich auf,
schüren in mir Menschenzorn und Menschenhass.
Durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
Durchhalten. Meine Seele schreit
und hustet Rost. Ich will fliehen, will etwas tun, aber ...
Ich muss. Es sind nur noch dreiundvierzig Jahre.
Ich muss.
Durchhalten.
„Nächste Station: Prenzlauer Allee!“
...
Ressourcenmanagement
„Zeit und Aufmerksamkeit sind die wichtigsten Ressourcen des Literaturwissenschaftlers.“ Dies ist eine Art Mantra von einem meiner Professoren. Nach einem Jahr im Studium kann ich bestätigen, dass Zeit ein wertvolles Gut ist (nicht, dass mir das nicht schon von vorher klar gewesen wäre – aber jetzt erst recht!). Aufmerksamkeit ist fast noch wertvoller. Wer schon mal das zweifelhafte Vergnügen hatte, mehrere wissenschaftliche Texte hintereinander lesen zu dürfen, weiß, dass Aufmerksamkeit aufgrund ihrer Flüchtigkeit ein fieses Arschloch ist. Denn wenn wir von unseren Leselisten mit Lacan oder Bourdieu gefoltert werden, ist die Versuchung, die Aufmerksamkeit stattdessen auf diesen Fussel auf dem Tisch oder auch diesen Fusel auf dem Tisch (je nach Verfügbarkeit) zu lenken, ziemlich groß.
Aber Zeit und Aufmerksamkeit sind nicht nur für Literaturwissenschaftler_innen sehr relevante Ressourcen, sondern für so ziemlich jeden Menschen. Bei allem, was unsere Gesellschaft an Möglichkeiten, Konventionen, Reizen, Verantwortung, Zwängen und mal mehr oder mal weniger berechtigten Erwartungen auffährt, um uns langsam aber sicher zu überfordern, fällt es mir und auch anderen aus meinem Umfeld nicht selten recht schwer, Zeit und Aufmerksamkeit gewissen- und/oder vorteilhaft zu verteilen. In den letzten Jahren glaube ich zunehmend, dass ich den vielen „Du-solltest“s, die mir nicht gerade selten über den Weg laufen, unmöglich gerecht werden kann.
Mensch soll heutzutage nämlich eine ganze Menge. So sollen wir unbedingt vierzig Stunden in der Woche arbeiten. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich das schon hinter mir habe. Jede Person, der es genauso geht, weiß, dass wir dabei schon eine Menge Zeit und Aufmerksamkeit auf der Arbeit lassen. Zudem sollen wir Sport treiben und uns gesund ernähren; am besten täglich frisch einkaufen und kochen. Zu einer gesunden Lebensführung gehören selbstverständlich ausreichend Schlaf – optimalerweise acht Stunden jede Nacht. Aber das Leben sollte nicht nur aus Arbeit und Schlafen bestehen: Hobbys sind demnach unerlässlich. Freundschaften zu pflegen ist ausgesprochen wichtig. Und die Familie ebenfalls. Das beginnt mit dem Führen einer guten, gesunden Partnerschaft. Die reinste Kinderei, wirklich. Apropos Kinderei: Wir sollten uns um die eigenen Kinder kümmern – am besten zwei bis fünf; der Staat braucht Steuerzahler_innen. Wenn du die Dreißig erreicht hast und noch keine Winzlinge mit fünfzig Prozent deines Erbgutes über sonnenbeschienene Wiesen springen, darfst du dich schon mal auf abschätzige Blicke und bohrende Nachfragen bezüglich deiner Familienplanung einstellen. Aber die ältere Generation braucht ebenfalls früher oder später Pflege und Zuwendung – Eltern und Großeltern dürfen nicht vernachlässigt werden. Achja: Wir wollen natürlich nicht, dass irgendwann das Gesundheitsamt wegen des üblen Geruchs vor der Tür steht, deshalb sollten wir auch unseren Haushalt führen. Am besten so, dass wir jederzeit Besuch empfangen können und es aussieht, als wohnten wir in einem Museum. Versteht sich von selbst. Zudem sollten wir auch am kulturellen Leben teilhaben. Das heißt: Bücher lesen, im Kino Filme schauen, ins Theater gehen. Netflixserien sind unter Umständen auch okay, aber nur bis zu einem gewissen Grad und nur in der Peergroup. Neben der körperlichen Gesundheit (aka „gesunde Lebensführung“ und Wahrnehmen sämtlicher Vorsorgeuntersuchungen) ist auch die geistige Gesundheit zu hegen und zu pflegen (vielleicht wegen der vielen anderen „Du-solltest“s, die möglicherweise etwas Stress induzieren). Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Therapie, Meditation, das Fernsehprogramm, „brutale Killerspiele“, den Konsum von Rauschmitteln, Religion oder regelmäßiges Kampfficken im Darkroom. Einige Leute schwören auf bestimmte Kombination aus den genannten Methoden. Außerdem sollten wir unser ganzes Leben über lernen und uns fortbilden. Volkshochschulkurse belegen, Kurse für die berufliche Weiterbildung besuchen usw. Achja, ganz wichtig: Ein Ehrenamt sollten wir auch noch innehaben. Wir alle können schließen etwas zurückgeben.
Wenn wir all das hinbekommen, werden wir den grundlegenden Anforderungen der Gesellschaft gerecht. Hoffentlich.
Mir stellen sich da allerdings ein paar Fragen: Wann? Wo im Namen des Chronos soll ich denn diese ganzen „Du-solltest“s in meinem Alltag unterbringen? Wie soll das eine Person hinbekommen, die vierzig Stunden arbeitet? Acht Stunden Arbeit, täglich je eine Stunde Arbeitsweg hin und zurück und acht Stunden Schlaf. Damit sind noch sechs Stunden vom Tag übrig. Sechs Stunden, in denen wir meist extrem erledigt sind. In diesen sechs Stunden war ich als Arbeitnehmer so erledigt, dass ich selbst dann auf dem Sofa eingepennt wäre, wenn meine verfilmte Lebensgeschichte im Fernsehen gelaufen wäre, in welcher ich von Chris Evans oder Donald Trump oder Mädchen Amick gespielt werde.
Sechs Stunden für Partnerschaft, Familie, Freunde, Hobbys, Haushalt, Sport, Frisches einkaufen und kochen, Weiterbildung, kulturelles Leben, geistige Gesundheit und den ganzen anderen „Du-solltest“s. Na, viel Glück bei dem Versuch, DAS alles zu managen.
Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, ist ein (in den Augen von Teilen der Gesellschaft) defizitäres Leben zu führen, indem ich einige „Du-solltest“s zu ignorieren versuche. Aktuell ignoriere ich persönlich Kinder (ich gehe auf die Dreißig zu und bekomme die ersten Fragen um die Ohren geschleudert), gesundes Essen, Sport und partiell den Haushalt. Zu pflegen ist in meiner Familie glücklicherweise gerade niemand. Auch das mit dem Ehrenamt lasse ich, obwohl jetzt dafür eine gute Zeit wäre. Ich habe nämlich den Luxus, Studierender zu sein und nicht nebenbei arbeiten zu müssen. Vielleicht werde ich Lesepate, darüber denke ich schon länger nach.
Dass ich ein „defizitäres“ Leben führe, bedeutet zwar, dass ich mir ständig mit Aussagen wie „Was, du machst keinen Sport? Aber das ist so wichtig!“, „Wenn du nicht gesund kochst, verringert das deine Lebenszeit.“ oder „Also es wäre ja schon schön, wenn du etwas mehr aufgeräumt hättest, bevor ich zu Besuch komme.“ anhören darf, aber eine andere Wahl scheine ich nicht zu haben. Denn mein Leben ist, so wie ich es aktuell führe, auch schon voll genug. Natürlich kenne ich auch ein oder zwei Menschen, die (zumindest scheinbar) allen „Du-solltest“s nachkommen. Aber die trinken sehr viel Kaffee und haben einen Pakt mit dem Teufel. Und ich hasse Kaffee.
„Zeit und Aufmerksamkeit sind die wichtigsten Ressourcen des Literaturwissenschaftlers.“ Dies ist eine Art Mantra von einem meiner Professoren. Nach einem Jahr im Studium kann ich bestätigen, dass Zeit ein wertvolles Gut ist (nicht, dass mir das nicht schon von vorher klar gewesen wäre – aber jetzt erst recht!). Aufmerksamkeit ist fast noch wertvoller. Wer schon mal das zweifelhafte Vergnügen hatte, mehrere wissenschaftliche Texte hintereinander lesen zu dürfen, weiß, dass Aufmerksamkeit aufgrund ihrer Flüchtigkeit ein fieses Arschloch ist. Denn wenn wir von unseren Leselisten mit Lacan oder Bourdieu gefoltert werden, ist die Versuchung, die Aufmerksamkeit stattdessen auf diesen Fussel auf dem Tisch oder auch diesen Fusel auf dem Tisch (je nach Verfügbarkeit) zu lenken, ziemlich groß.
Aber Zeit und Aufmerksamkeit sind nicht nur für Literaturwissenschaftler_innen sehr relevante Ressourcen, sondern für so ziemlich jeden Menschen. Bei allem, was unsere Gesellschaft an Möglichkeiten, Konventionen, Reizen, Verantwortung, Zwängen und mal mehr oder mal weniger berechtigten Erwartungen auffährt, um uns langsam aber sicher zu überfordern, fällt es mir und auch anderen aus meinem Umfeld nicht selten recht schwer, Zeit und Aufmerksamkeit gewissen- und/oder vorteilhaft zu verteilen. In den letzten Jahren glaube ich zunehmend, dass ich den vielen „Du-solltest“s, die mir nicht gerade selten über den Weg laufen, unmöglich gerecht werden kann.
Mensch soll heutzutage nämlich eine ganze Menge. So sollen wir unbedingt vierzig Stunden in der Woche arbeiten. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass ich das schon hinter mir habe. Jede Person, der es genauso geht, weiß, dass wir dabei schon eine Menge Zeit und Aufmerksamkeit auf der Arbeit lassen. Zudem sollen wir Sport treiben und uns gesund ernähren; am besten täglich frisch einkaufen und kochen. Zu einer gesunden Lebensführung gehören selbstverständlich ausreichend Schlaf – optimalerweise acht Stunden jede Nacht. Aber das Leben sollte nicht nur aus Arbeit und Schlafen bestehen: Hobbys sind demnach unerlässlich. Freundschaften zu pflegen ist ausgesprochen wichtig. Und die Familie ebenfalls. Das beginnt mit dem Führen einer guten, gesunden Partnerschaft. Die reinste Kinderei, wirklich. Apropos Kinderei: Wir sollten uns um die eigenen Kinder kümmern – am besten zwei bis fünf; der Staat braucht Steuerzahler_innen. Wenn du die Dreißig erreicht hast und noch keine Winzlinge mit fünfzig Prozent deines Erbgutes über sonnenbeschienene Wiesen springen, darfst du dich schon mal auf abschätzige Blicke und bohrende Nachfragen bezüglich deiner Familienplanung einstellen. Aber die ältere Generation braucht ebenfalls früher oder später Pflege und Zuwendung – Eltern und Großeltern dürfen nicht vernachlässigt werden. Achja: Wir wollen natürlich nicht, dass irgendwann das Gesundheitsamt wegen des üblen Geruchs vor der Tür steht, deshalb sollten wir auch unseren Haushalt führen. Am besten so, dass wir jederzeit Besuch empfangen können und es aussieht, als wohnten wir in einem Museum. Versteht sich von selbst. Zudem sollten wir auch am kulturellen Leben teilhaben. Das heißt: Bücher lesen, im Kino Filme schauen, ins Theater gehen. Netflixserien sind unter Umständen auch okay, aber nur bis zu einem gewissen Grad und nur in der Peergroup. Neben der körperlichen Gesundheit (aka „gesunde Lebensführung“ und Wahrnehmen sämtlicher Vorsorgeuntersuchungen) ist auch die geistige Gesundheit zu hegen und zu pflegen (vielleicht wegen der vielen anderen „Du-solltest“s, die möglicherweise etwas Stress induzieren). Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Therapie, Meditation, das Fernsehprogramm, „brutale Killerspiele“, den Konsum von Rauschmitteln, Religion oder regelmäßiges Kampfficken im Darkroom. Einige Leute schwören auf bestimmte Kombination aus den genannten Methoden. Außerdem sollten wir unser ganzes Leben über lernen und uns fortbilden. Volkshochschulkurse belegen, Kurse für die berufliche Weiterbildung besuchen usw. Achja, ganz wichtig: Ein Ehrenamt sollten wir auch noch innehaben. Wir alle können schließen etwas zurückgeben.
Wenn wir all das hinbekommen, werden wir den grundlegenden Anforderungen der Gesellschaft gerecht. Hoffentlich.
Mir stellen sich da allerdings ein paar Fragen: Wann? Wo im Namen des Chronos soll ich denn diese ganzen „Du-solltest“s in meinem Alltag unterbringen? Wie soll das eine Person hinbekommen, die vierzig Stunden arbeitet? Acht Stunden Arbeit, täglich je eine Stunde Arbeitsweg hin und zurück und acht Stunden Schlaf. Damit sind noch sechs Stunden vom Tag übrig. Sechs Stunden, in denen wir meist extrem erledigt sind. In diesen sechs Stunden war ich als Arbeitnehmer so erledigt, dass ich selbst dann auf dem Sofa eingepennt wäre, wenn meine verfilmte Lebensgeschichte im Fernsehen gelaufen wäre, in welcher ich von Chris Evans oder Donald Trump oder Mädchen Amick gespielt werde.
Sechs Stunden für Partnerschaft, Familie, Freunde, Hobbys, Haushalt, Sport, Frisches einkaufen und kochen, Weiterbildung, kulturelles Leben, geistige Gesundheit und den ganzen anderen „Du-solltest“s. Na, viel Glück bei dem Versuch, DAS alles zu managen.
Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, ist ein (in den Augen von Teilen der Gesellschaft) defizitäres Leben zu führen, indem ich einige „Du-solltest“s zu ignorieren versuche. Aktuell ignoriere ich persönlich Kinder (ich gehe auf die Dreißig zu und bekomme die ersten Fragen um die Ohren geschleudert), gesundes Essen, Sport und partiell den Haushalt. Zu pflegen ist in meiner Familie glücklicherweise gerade niemand. Auch das mit dem Ehrenamt lasse ich, obwohl jetzt dafür eine gute Zeit wäre. Ich habe nämlich den Luxus, Studierender zu sein und nicht nebenbei arbeiten zu müssen. Vielleicht werde ich Lesepate, darüber denke ich schon länger nach.
Dass ich ein „defizitäres“ Leben führe, bedeutet zwar, dass ich mir ständig mit Aussagen wie „Was, du machst keinen Sport? Aber das ist so wichtig!“, „Wenn du nicht gesund kochst, verringert das deine Lebenszeit.“ oder „Also es wäre ja schon schön, wenn du etwas mehr aufgeräumt hättest, bevor ich zu Besuch komme.“ anhören darf, aber eine andere Wahl scheine ich nicht zu haben. Denn mein Leben ist, so wie ich es aktuell führe, auch schon voll genug. Natürlich kenne ich auch ein oder zwei Menschen, die (zumindest scheinbar) allen „Du-solltest“s nachkommen. Aber die trinken sehr viel Kaffee und haben einen Pakt mit dem Teufel. Und ich hasse Kaffee.
Von Katzenhaaren und Kaffeeflecken
Natürlich. Natürlich musste das ausgerechnet mir; ausgerechnet heute passieren. Ich seufzte resigniert und begutachtete den dicken roten Pickel im Badezimmerspiegel, welcher sich auffällig wie der Papst in einer Schwulenkneipe von meiner rechten Wange abhob.
Ich war schließlich noch nicht nervös genug. Zumindest war mein Körper augenscheinlich der Ansicht, dass sich dieser Zustand noch steigern ließe. Jetzt fühlte ich mich nicht nur scheiße; ich sah auch noch scheiße aus. So eine Scheiße!
Meine Versuche, dieses Mistding auszudrücken, blieben fruchtlos - wenn man davon absah, dass meine Wange nun schmerzhaft glühte. Ich würde wohl oder übel damit leben müssen, dass ich einen ungebetenen Gast auf meinem Gesicht spazieren trug, während ich meinen ersten Arbeitstag antrat. Üblicherweise hätte mich ein Pickel nicht so sehr aus der Bahn geworfen, aber an diesem Morgen war ich ausgesprochen dünnhäutig. Ich hatte vor lauter Anspannung kein Auge zugetan. Die ganze Nacht über war in meinem Kopf ein quälendes, endloses Fragenkarussel rotiert und hatte mich am Einschlafen gehindert. Was, wenn mich die Kolleg_innen nicht mögen? Was, wenn ich die Kolleg_innen nicht mag? Was mache ich, wenn ich keinen Anschluss finde? Was, wenn mein Chef ein Vollarsch ist? Was, wenn ich wieder irgendetwas Dummes anstelle oder gleich am Anfang Fehler mache? Was, wenn ich aufgrund meines Alters nicht ernst genommen werde? Was, wenn ich mit meinem Computer im Büro nicht zurechtkomme? Was, wenn mein Büro ungemütlich ist oder kalt oder zu heiß? Falle ich negativ auf, wenn ich außerhalb der Mittagspause rauche? Oh Gott. Was mache ich, wenn die Kaffeemaschine kaputt ist und ich keinen Kaffee bekomme?
All diese sinnlosen Fragen, auf deren Beantwortung man ohne hellseherische Fähigkeiten ohnehin vergeblich wartet. Fragen, die mich nicht nur im Bett, sondern nun auch unter der Dusche, beim Zähneputzen und beim Haarekämmen beschäftigten. Ich schüttelte den Kopf, genervt von meinen eigenen Zweifeln. Warum hat eigentlich noch niemand einen Aus-Schalter für den Teil unseres Gehirns erfunden, der für ungerechtfertigte Sorgen zuständig ist? Ich wäre wohl Teil einer sehr dankbaren Kundschaft.
Als ich ins Schlafzimmer ging, um mich anzuziehen, warf ich einen ungläubigen Blick auf den Boden. Mein Oberteil, das ich mir extra für diesen Tag gebügelt und zurechtgelegt hatte, war von meinem stummen Diener gerutscht. Meine Katze hatte es sich darauf bequem gemacht und streckte sich genüsslich. Mein rechtes Augenlid zuckte. Ich zog das Oberteil unter meiner Katze hervor, welche daraufhin beleidigt mauzte und sich ins Wohnzimmer verzog. Es war zerknittert und voller roter Katzenhaare. Dieser Morgen wurde einfach immer besser. In diesem Oberteil fühlte ich mich immer wohl und es sah so … erwachsen aus. Ich hatte es in der Hoffnung, es würde mir etwas Selbstvertrauen schenken, vorbereitet und herausgelegt. Leider blieb mir keine Zeit, nochmal das Bügeleisen zu schwingen, also zog ich mich an und ging noch einmal schnell mit einer Fusselrolle über meinen Oberkörper. Mit einem Quäntchen Glück würde ich alle Haare erwischen und sogar noch die eine oder andere Falte aus meinem Outfit rollen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich dringend sputen musste, also griff ich meinen Rucksack und stürzte aus der Wohnung hinaus in den Wahnsinn des Alltags.
Nachdem ich im Bus aufgrund von akutem Schlafmangel beinahe eingeschlafen war, beschloss ich, mir beim Bäcker einen Kaffee zu kaufen. Er schmeckte scheußlich, aber war stark. Also hetzte ich etwas wacher mit einem Kaffeebecher durch die Stadt zu dem Verlagshaus, in dem ich heute anfangen sollte. Als ich vor dem alten, ehrwürdigen Gebäude stand, raste mein Herz wie das eines Marathonläufers, der in Rekordzeit die Ziellinie überquert hatte. Gute Güte, am liebsten wollte ich wieder umdrehen, mich in meinem Bett verkriechen und bis ans Ende meiner Tage Doctor Who gucken. Gleichzeitig freute ich mich riesig darüber, einen Job gefunden zu haben und arbeiten zu dürfen. Es nützte ja doch nichts. Wenn ich noch länger vor der Eingangstür stehen blieb, würde ich noch zu spät kommen. Das wollte ich nun wirklich nicht. Ich nahm einen tiefen Atemzug, wappnete mich für meinen ersten Schritt ins Berufsleben … und wurde von hinten angerempelt, sodass mir ein Schwall heißen Kaffees über mein hellgraues Oberteil schwappte. Nachdem ich den Schmerz weggeatmet hatte schaute ich an mir herab und blickte in das abscheuliche Antlitz eines sehr präsenten Kaffeeflecks.
„'Tschuldigung“, murmelte der Mann, der mich angerempelt hatte und eilte an mir vorbei durch die Tür ins Gebäude.
Ich hätte heulen können. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit einem fleckigen, faltigen und noch immer latent mit Katzenhaaren bestückten Oberteil hineinzugehen. Von meinen Augenringen und der Pestbeule auf der Wange ganz zu schweigen. Ich würde einen fantastischen ersten Eindruck hinterlassen. Ob man mir wohl schon heute mitteilen würde, dass ich die Probezeit nicht bestehe?
Mit rotierenden Horrorvisionen und Versagensängsten im Kopf stieg ich wenige Minuten später aus dem Fahrstuhl, darauf achtend, bloß keinen Blick in den Spiegel zu riskieren.
Da kam auch schon meine Vorgesetzte, Dr. Dremmel mit kleinen, aber dafür sehr lauten Schritten auf mich zugestöckelt und lächelte mich reserviert an.
„Ah, da sind Sie schon. Guten Morgen.“ Sie schüttelte mir zur Begrüßung die Hand. Ihr Blick blieb kurz an dem Kaffeefleck hängen. Ich fühlte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss.
„Guten Morgen“, erwiderte ich unsicher.
„Wir freuen uns alle sehr auf Sie. In der Mittagspause stelle ich Ihnen den Rest des Kollegiums vor und werde Sie gebührend Willkommen heißen. Zunächst bringe ich Sie aber ins Büro von Herrn Mierow. Er wird Sie einarbeiten.“
Herr Mierow. Das war der Kollege, dessen Stelle ich übernehmen sollte, weil er bald in Rente ging. Dr. Dremmel führte mich durch ein kleines Labyrinth aus Fluren, von denen mehrere Büroräume abgingen. Es war so verdammt still in diesem Haus, ganz anders als in der Uni. Dort war alles so wuselig und lebhaft.
„Guten Morgen. Mierow.“ Der Lektor schüttelte meine Hand.
„Guten Morgen. Herrmann“ Meine Erwiderung klang, als hätte ich gerade ein Reibeisen geschluckt.
„Ich lasse Sie beide dann mal allein. Viel Erfolg.“ Dr. Dremmel verließ rasch das Büro.
„Danke, Dremmelchen“, gluckste Herr Mierow und lächelte mich mit warmen Augen an. „Hatten Sie einen kleinen Kaffee-Unfall?“
Ich nickte stumm.
„Ist uns allen schon passiert, machen Sie sich keine Gedanken.“ Er wies mit seiner Hand zu einem Stuhl. „Setzen Sie sich.“ Ich stellte meinen Rucksack ab und tat wie mir geheißen Dann hielt er mir einen Stoß Papier hin. „Lesen Sie die erste Seite dieses Manuskripts und sagen Sie mir, was Sie davon halten.“ Mir rutschte ein Teil des Stapels aus der Hand und eine lose Blättersammlung verteilte sich ungeordnet auf dem Boden.
„Oh Gott, das tut mir schrecklich leid!“ Eilig legte ich den noch vollständigen Part des Manuskripts auf den Stuhl und begann mit fahrigen Fingern, die Seiten vom Boden aufzulesen.
„Schon gut, lassen Sie das es einfach liegen. Wir machen das gleich gemeinsam. Kommen Sie, setzen Sie sich an den Schreibtisch.“
„Aber … das ist Ihr Platz.“
Herr Mierow lachte herzhaft. „Nicht mehr lange. Sie können den Stuhl ruhig schon einmal einsitzen.“
Ich setzte mich in den Bürostuhl und blickte meinen Mentor unsicher an. Der grinste wissend.
„Sie haben den gleichen Ausdruck im Gesicht wie mein Enkel, als ich ihn an seinem ersten Arbeitstag zum Büro gefahren habe. Sie sind wirklich sehr nervös, nicht wahr?“
„Ist das so offensichtlich?“
„Quasi kaum zu übersehen.“
Na toll!
„Aber das ist absolut normal und nicht schlimm. Sie werden sehen, Sie werden am Anfang viele Fehler machen. Um ehrlich zu sein, werden sie auch nach Ihrer Einarbeitung noch viele Fehler machen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe fünfundvierzig Jahre gearbeitet. Das war ausreichend Zeit um so richtig viel Scheiße zu verzapfen.“
Ich konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.
„Jeder hier weiß, dass Sie ganz am Anfang Ihrer Karriere stehen und niemand wird Ihnen den Kopf abreißen, wenn etwas schiefgeht. Sie werden an Ihren Aufgaben wachsen, Stück für Stück. Machen Sie sich nicht so viele Gedanken, sondern lassen Sie einfach alles auf sich zukommen. Das ist die erste Stelle, die Sie antreten, oder?“
„Ja.“
Herr Mierow nickte. „Dann genießen Sie Ihre neugewonnene Unabhängigkeit. Sie müssen sich nicht mehr vor Ihren Eltern rechtfertigen, können Ihre eigenen Entscheidungen treffen, ohne dass Ihnen jemand dazwischenfunkt. Sie sind gerade dabei, ihre ersten Schritte ins Erwachsensein zu machen und für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Ihr Leben fängt gerade an. Genießen Sie diese Phase, statt sich mit Selbstzweifeln zu plagen. Heben Sie sich die Zweifel für Ihre erste Scheidung auf.“
Ich grinste Herrn Mierow breit an. „Ich werde es versuchen. Danke.“
„Kein Problem. Und jetzt heben Sie bitte die Seiten wieder auf. Ich würde Ihnen ja helfen, aber ich hab's im Kreuz.“
Natürlich. Natürlich musste das ausgerechnet mir; ausgerechnet heute passieren. Ich seufzte resigniert und begutachtete den dicken roten Pickel im Badezimmerspiegel, welcher sich auffällig wie der Papst in einer Schwulenkneipe von meiner rechten Wange abhob.
Ich war schließlich noch nicht nervös genug. Zumindest war mein Körper augenscheinlich der Ansicht, dass sich dieser Zustand noch steigern ließe. Jetzt fühlte ich mich nicht nur scheiße; ich sah auch noch scheiße aus. So eine Scheiße!
Meine Versuche, dieses Mistding auszudrücken, blieben fruchtlos - wenn man davon absah, dass meine Wange nun schmerzhaft glühte. Ich würde wohl oder übel damit leben müssen, dass ich einen ungebetenen Gast auf meinem Gesicht spazieren trug, während ich meinen ersten Arbeitstag antrat. Üblicherweise hätte mich ein Pickel nicht so sehr aus der Bahn geworfen, aber an diesem Morgen war ich ausgesprochen dünnhäutig. Ich hatte vor lauter Anspannung kein Auge zugetan. Die ganze Nacht über war in meinem Kopf ein quälendes, endloses Fragenkarussel rotiert und hatte mich am Einschlafen gehindert. Was, wenn mich die Kolleg_innen nicht mögen? Was, wenn ich die Kolleg_innen nicht mag? Was mache ich, wenn ich keinen Anschluss finde? Was, wenn mein Chef ein Vollarsch ist? Was, wenn ich wieder irgendetwas Dummes anstelle oder gleich am Anfang Fehler mache? Was, wenn ich aufgrund meines Alters nicht ernst genommen werde? Was, wenn ich mit meinem Computer im Büro nicht zurechtkomme? Was, wenn mein Büro ungemütlich ist oder kalt oder zu heiß? Falle ich negativ auf, wenn ich außerhalb der Mittagspause rauche? Oh Gott. Was mache ich, wenn die Kaffeemaschine kaputt ist und ich keinen Kaffee bekomme?
All diese sinnlosen Fragen, auf deren Beantwortung man ohne hellseherische Fähigkeiten ohnehin vergeblich wartet. Fragen, die mich nicht nur im Bett, sondern nun auch unter der Dusche, beim Zähneputzen und beim Haarekämmen beschäftigten. Ich schüttelte den Kopf, genervt von meinen eigenen Zweifeln. Warum hat eigentlich noch niemand einen Aus-Schalter für den Teil unseres Gehirns erfunden, der für ungerechtfertigte Sorgen zuständig ist? Ich wäre wohl Teil einer sehr dankbaren Kundschaft.
Als ich ins Schlafzimmer ging, um mich anzuziehen, warf ich einen ungläubigen Blick auf den Boden. Mein Oberteil, das ich mir extra für diesen Tag gebügelt und zurechtgelegt hatte, war von meinem stummen Diener gerutscht. Meine Katze hatte es sich darauf bequem gemacht und streckte sich genüsslich. Mein rechtes Augenlid zuckte. Ich zog das Oberteil unter meiner Katze hervor, welche daraufhin beleidigt mauzte und sich ins Wohnzimmer verzog. Es war zerknittert und voller roter Katzenhaare. Dieser Morgen wurde einfach immer besser. In diesem Oberteil fühlte ich mich immer wohl und es sah so … erwachsen aus. Ich hatte es in der Hoffnung, es würde mir etwas Selbstvertrauen schenken, vorbereitet und herausgelegt. Leider blieb mir keine Zeit, nochmal das Bügeleisen zu schwingen, also zog ich mich an und ging noch einmal schnell mit einer Fusselrolle über meinen Oberkörper. Mit einem Quäntchen Glück würde ich alle Haare erwischen und sogar noch die eine oder andere Falte aus meinem Outfit rollen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich dringend sputen musste, also griff ich meinen Rucksack und stürzte aus der Wohnung hinaus in den Wahnsinn des Alltags.
Nachdem ich im Bus aufgrund von akutem Schlafmangel beinahe eingeschlafen war, beschloss ich, mir beim Bäcker einen Kaffee zu kaufen. Er schmeckte scheußlich, aber war stark. Also hetzte ich etwas wacher mit einem Kaffeebecher durch die Stadt zu dem Verlagshaus, in dem ich heute anfangen sollte. Als ich vor dem alten, ehrwürdigen Gebäude stand, raste mein Herz wie das eines Marathonläufers, der in Rekordzeit die Ziellinie überquert hatte. Gute Güte, am liebsten wollte ich wieder umdrehen, mich in meinem Bett verkriechen und bis ans Ende meiner Tage Doctor Who gucken. Gleichzeitig freute ich mich riesig darüber, einen Job gefunden zu haben und arbeiten zu dürfen. Es nützte ja doch nichts. Wenn ich noch länger vor der Eingangstür stehen blieb, würde ich noch zu spät kommen. Das wollte ich nun wirklich nicht. Ich nahm einen tiefen Atemzug, wappnete mich für meinen ersten Schritt ins Berufsleben … und wurde von hinten angerempelt, sodass mir ein Schwall heißen Kaffees über mein hellgraues Oberteil schwappte. Nachdem ich den Schmerz weggeatmet hatte schaute ich an mir herab und blickte in das abscheuliche Antlitz eines sehr präsenten Kaffeeflecks.
„'Tschuldigung“, murmelte der Mann, der mich angerempelt hatte und eilte an mir vorbei durch die Tür ins Gebäude.
Ich hätte heulen können. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit einem fleckigen, faltigen und noch immer latent mit Katzenhaaren bestückten Oberteil hineinzugehen. Von meinen Augenringen und der Pestbeule auf der Wange ganz zu schweigen. Ich würde einen fantastischen ersten Eindruck hinterlassen. Ob man mir wohl schon heute mitteilen würde, dass ich die Probezeit nicht bestehe?
Mit rotierenden Horrorvisionen und Versagensängsten im Kopf stieg ich wenige Minuten später aus dem Fahrstuhl, darauf achtend, bloß keinen Blick in den Spiegel zu riskieren.
Da kam auch schon meine Vorgesetzte, Dr. Dremmel mit kleinen, aber dafür sehr lauten Schritten auf mich zugestöckelt und lächelte mich reserviert an.
„Ah, da sind Sie schon. Guten Morgen.“ Sie schüttelte mir zur Begrüßung die Hand. Ihr Blick blieb kurz an dem Kaffeefleck hängen. Ich fühlte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss.
„Guten Morgen“, erwiderte ich unsicher.
„Wir freuen uns alle sehr auf Sie. In der Mittagspause stelle ich Ihnen den Rest des Kollegiums vor und werde Sie gebührend Willkommen heißen. Zunächst bringe ich Sie aber ins Büro von Herrn Mierow. Er wird Sie einarbeiten.“
Herr Mierow. Das war der Kollege, dessen Stelle ich übernehmen sollte, weil er bald in Rente ging. Dr. Dremmel führte mich durch ein kleines Labyrinth aus Fluren, von denen mehrere Büroräume abgingen. Es war so verdammt still in diesem Haus, ganz anders als in der Uni. Dort war alles so wuselig und lebhaft.
„Guten Morgen. Mierow.“ Der Lektor schüttelte meine Hand.
„Guten Morgen. Herrmann“ Meine Erwiderung klang, als hätte ich gerade ein Reibeisen geschluckt.
„Ich lasse Sie beide dann mal allein. Viel Erfolg.“ Dr. Dremmel verließ rasch das Büro.
„Danke, Dremmelchen“, gluckste Herr Mierow und lächelte mich mit warmen Augen an. „Hatten Sie einen kleinen Kaffee-Unfall?“
Ich nickte stumm.
„Ist uns allen schon passiert, machen Sie sich keine Gedanken.“ Er wies mit seiner Hand zu einem Stuhl. „Setzen Sie sich.“ Ich stellte meinen Rucksack ab und tat wie mir geheißen Dann hielt er mir einen Stoß Papier hin. „Lesen Sie die erste Seite dieses Manuskripts und sagen Sie mir, was Sie davon halten.“ Mir rutschte ein Teil des Stapels aus der Hand und eine lose Blättersammlung verteilte sich ungeordnet auf dem Boden.
„Oh Gott, das tut mir schrecklich leid!“ Eilig legte ich den noch vollständigen Part des Manuskripts auf den Stuhl und begann mit fahrigen Fingern, die Seiten vom Boden aufzulesen.
„Schon gut, lassen Sie das es einfach liegen. Wir machen das gleich gemeinsam. Kommen Sie, setzen Sie sich an den Schreibtisch.“
„Aber … das ist Ihr Platz.“
Herr Mierow lachte herzhaft. „Nicht mehr lange. Sie können den Stuhl ruhig schon einmal einsitzen.“
Ich setzte mich in den Bürostuhl und blickte meinen Mentor unsicher an. Der grinste wissend.
„Sie haben den gleichen Ausdruck im Gesicht wie mein Enkel, als ich ihn an seinem ersten Arbeitstag zum Büro gefahren habe. Sie sind wirklich sehr nervös, nicht wahr?“
„Ist das so offensichtlich?“
„Quasi kaum zu übersehen.“
Na toll!
„Aber das ist absolut normal und nicht schlimm. Sie werden sehen, Sie werden am Anfang viele Fehler machen. Um ehrlich zu sein, werden sie auch nach Ihrer Einarbeitung noch viele Fehler machen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe fünfundvierzig Jahre gearbeitet. Das war ausreichend Zeit um so richtig viel Scheiße zu verzapfen.“
Ich konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.
„Jeder hier weiß, dass Sie ganz am Anfang Ihrer Karriere stehen und niemand wird Ihnen den Kopf abreißen, wenn etwas schiefgeht. Sie werden an Ihren Aufgaben wachsen, Stück für Stück. Machen Sie sich nicht so viele Gedanken, sondern lassen Sie einfach alles auf sich zukommen. Das ist die erste Stelle, die Sie antreten, oder?“
„Ja.“
Herr Mierow nickte. „Dann genießen Sie Ihre neugewonnene Unabhängigkeit. Sie müssen sich nicht mehr vor Ihren Eltern rechtfertigen, können Ihre eigenen Entscheidungen treffen, ohne dass Ihnen jemand dazwischenfunkt. Sie sind gerade dabei, ihre ersten Schritte ins Erwachsensein zu machen und für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Ihr Leben fängt gerade an. Genießen Sie diese Phase, statt sich mit Selbstzweifeln zu plagen. Heben Sie sich die Zweifel für Ihre erste Scheidung auf.“
Ich grinste Herrn Mierow breit an. „Ich werde es versuchen. Danke.“
„Kein Problem. Und jetzt heben Sie bitte die Seiten wieder auf. Ich würde Ihnen ja helfen, aber ich hab's im Kreuz.“
Tod des Gestern
Ein Bett aus Nägeln,
verborgen unter weißen Laken.
Ich übersah die vielen Haken,
wollte mit dir ins Glück segeln.
Das erhoffte Glück zerronnen.
Ich weiß, es muss enden,
lass' mich nicht mehr schänden.
Doch wie hat es begonnen?
Wir waren einsam,
verloren in der Dunkelheit.
Wir brachten einander Zweisamkeit.
Ich ahnte nicht, was nach diesem lichten Anfang kam.
Du hast mich zerbrochen.
Traktiertest mich, wieder und wieder.
Doch ich hab' genug, geh' nicht mehr nieder.
Nicht dir, meiner Freiheit nur bin versprochen.
Wie ist dein kranker Geist geartet?
Doch: Danke! Nun kann ich endlich sehen,
hab' die Kraft gefunden, zu gehen.
Denn ein neuer Anfang wartet.
Ein Bett aus Nägeln,
verborgen unter weißen Laken.
Ich übersah die vielen Haken,
wollte mit dir ins Glück segeln.
Das erhoffte Glück zerronnen.
Ich weiß, es muss enden,
lass' mich nicht mehr schänden.
Doch wie hat es begonnen?
Wir waren einsam,
verloren in der Dunkelheit.
Wir brachten einander Zweisamkeit.
Ich ahnte nicht, was nach diesem lichten Anfang kam.
Du hast mich zerbrochen.
Traktiertest mich, wieder und wieder.
Doch ich hab' genug, geh' nicht mehr nieder.
Nicht dir, meiner Freiheit nur bin versprochen.
Wie ist dein kranker Geist geartet?
Doch: Danke! Nun kann ich endlich sehen,
hab' die Kraft gefunden, zu gehen.
Denn ein neuer Anfang wartet.
Agieren oder Reagieren?
Mir wird oft gesagt, dass ich zu viel nachdenke. Über so ziemlich alles. Vor allem über Dinge, die aktuell noch kein Problem darstellen aber potenziell zu einem werden könnten. Oder aber über Dinge, auf die ich keinen Einfluss habe. Außerdem kann ich vor meinem inneren Auge hervorragend Situationen abspielen lassen, die (noch) gar nicht eingetreten sind, sich aber unter Umständen, möglicherweise, vielleicht, eventuell so abspielen könnten. Also, rein hypothetisch. Kann ja sein. Ich will lieber gar nicht wissen, wie viel Lebenszeit ich damit zugebracht habe, mir die Konsequenzen meiner Handlungen vorab auszumalen oder jedes Wort und jede Geste meiner Mitmenschen in Grund und Boden zu analysieren. Wie viel Lebenszeit ich im Bett liegend darauf verwendet habe, mich selbst in einer Marinade aus Selbstzweifeln und ziellosen Gedankenkarusells mürbe werden zu lassen. Sicher habe ich damit noch mehr Zeit zugebracht, als mit "The Elder Scrolls V: Skyrim". Das wären laut meinem Steam-Account etwa 850 Stunden. Wow. Das sind ungefähr 35 Tage, also über ein Monat, den ich mit nur einem Videospiel verbracht habe. Davon ausgehend, dass ich in diese Sache mit der Gedankenmarinade vielleicht (mindestens) schon die vierfache Zeit investiert habe ... 3400 Stunden, circa 140 Tage. Also fast fünf Monate meines Lebens, die ich mit mehr oder weniger fruchtlosem Grübeln verbracht habe. Wenn man die kalten nackten Zahlen sieht, stellt man sich schon die Frage: „War es das wert?“. Ich meine, in fünf Monaten hätte ich meinen Schreibstil möglicherweise auf ein ganz neues Level heben, zumindest die Basics eines Instruments lernen, mehr zeichnen, wohltätige Arbeit leisten oder endlich mal alle schwarzen Bestia bei Final Fantasy X besiegen können (Ehrlich, das Spiel habe ich seit 2002. Es wird langsam Zeit).
Ich bin mit absoluter Sicherheit nicht der Einzige, der dieses Verhalten an den Tag legt. In meinem näheren Umfeld gibt es jedoch Menschen, die sich überhaupt nicht mit dem ganzen Zeug auseinandersetzen, das mir so durch den Kopf geht. Menschen, die mich nun schon des Öfteren darauf hingewiesen haben, dass ich Dinge zerdenke und teilweise wichtig nehme, obwohl ihre Relevanz bisweilen doch ziemlich fraglich ist.
In letzter Zeit stelle ich auch vermehrt fest, dass mir die Wahrnehmung meiner Person in den Augen anderer wichtig ist. „Warum guckt der Typ mich so komisch an? Bin ich so verdammt hässlich, dass man mich anstarren muss?“ - „Fällt irgendwem auf, dass ich heute ausnahmsweise mal nicht schwarz trage?“ - „Warum hat sie so abfällig gegrinst, als sie mich einen Nerd genannt hat?“ - „Gehe ich meinen Freunden auf die Nerven? Rede ich zu viel? Oder zu wenig?“ - „Niemand hat über meinen Witz gelacht und jetzt herrscht betretene Stille. Kann sich bitte sofort die Erde auftun und meinen unlustigen Kadaver verschlingen?“ Warum? Warum tue ich das? Das war in diesem Maße das letzte Mal in meiner frühen Pubertät so. Irgendwie war ich der irrigen Hoffnung erlegen, dass man diese Kacke mit dem Eintreten in die Zwanziger überwunden hätte. Ist das etwas, das zwischen der Quarterlife-Crisis und der Midlife-Crisis wieder ausbricht? Und während ich schreibe, mache ich schon wieder eine Gedankenkette darüber auf, ob meine Gedanken normal sind. Hallo, mein Name ist Dennis und ich bin ein zwanghafter Zerdenker.
Ich bewundere Menschen, die das Leben einfach auf sich zukommen lassen können. So ganz ohne sich zu sorgen, ohne sich in Existenzängsten zu ergehen, ohne jedes mögliche Szenario vorher durchzuspielen oder ohne vor jeder Entscheidung im Kopf Pro- und Kontralisten aufzustellen.
Andererseits glaube ich, dass man, wenn man sich immer nur treiben lässt, eben nur auf Gelegenheiten und Situationen reagieren kann. So nimmt man gewissermaßen eine passive Haltung ein und muss sich mit dem begnügen, was einem mehr oder weniger zufällig über den Weg läuft. Das Marinieren meines Gehirns sorgt hingegen dafür, dass ich mich auf das Agieren vorbereiten und mein Leben aktiver beeinflussen kann – zumindest ist das mein Eindruck. Wenn etwas schief geht, weil ich die Initiative ergriffen habe und sich eine Situation nicht optimal entwickelt, ist das dann nicht mehr so dramatisch. Schließlich habe ich diesen Fehlschlag in meinem Kopf schon durchexerziert und bin deshalb nicht so getroffen und kann entsprechend damit umgehen.
Dennoch würde es mir gut tun, wenn sich zwischen all diese viel zu tiefgehenden Gedankenspiele gelegentlich ein „Scheiß drauf!“ schleichen würde.
Ergibt das Sinn? Keine Ahnung. Aber ein kleiner tröstender Aufruf an alle Zerdenker_innen da draußen: Ihr seid nicht allein. Und ihr seid nicht verrückt. Naja, vielleicht ein bisschen. Scheiß drauf!
Mir wird oft gesagt, dass ich zu viel nachdenke. Über so ziemlich alles. Vor allem über Dinge, die aktuell noch kein Problem darstellen aber potenziell zu einem werden könnten. Oder aber über Dinge, auf die ich keinen Einfluss habe. Außerdem kann ich vor meinem inneren Auge hervorragend Situationen abspielen lassen, die (noch) gar nicht eingetreten sind, sich aber unter Umständen, möglicherweise, vielleicht, eventuell so abspielen könnten. Also, rein hypothetisch. Kann ja sein. Ich will lieber gar nicht wissen, wie viel Lebenszeit ich damit zugebracht habe, mir die Konsequenzen meiner Handlungen vorab auszumalen oder jedes Wort und jede Geste meiner Mitmenschen in Grund und Boden zu analysieren. Wie viel Lebenszeit ich im Bett liegend darauf verwendet habe, mich selbst in einer Marinade aus Selbstzweifeln und ziellosen Gedankenkarusells mürbe werden zu lassen. Sicher habe ich damit noch mehr Zeit zugebracht, als mit "The Elder Scrolls V: Skyrim". Das wären laut meinem Steam-Account etwa 850 Stunden. Wow. Das sind ungefähr 35 Tage, also über ein Monat, den ich mit nur einem Videospiel verbracht habe. Davon ausgehend, dass ich in diese Sache mit der Gedankenmarinade vielleicht (mindestens) schon die vierfache Zeit investiert habe ... 3400 Stunden, circa 140 Tage. Also fast fünf Monate meines Lebens, die ich mit mehr oder weniger fruchtlosem Grübeln verbracht habe. Wenn man die kalten nackten Zahlen sieht, stellt man sich schon die Frage: „War es das wert?“. Ich meine, in fünf Monaten hätte ich meinen Schreibstil möglicherweise auf ein ganz neues Level heben, zumindest die Basics eines Instruments lernen, mehr zeichnen, wohltätige Arbeit leisten oder endlich mal alle schwarzen Bestia bei Final Fantasy X besiegen können (Ehrlich, das Spiel habe ich seit 2002. Es wird langsam Zeit).
Ich bin mit absoluter Sicherheit nicht der Einzige, der dieses Verhalten an den Tag legt. In meinem näheren Umfeld gibt es jedoch Menschen, die sich überhaupt nicht mit dem ganzen Zeug auseinandersetzen, das mir so durch den Kopf geht. Menschen, die mich nun schon des Öfteren darauf hingewiesen haben, dass ich Dinge zerdenke und teilweise wichtig nehme, obwohl ihre Relevanz bisweilen doch ziemlich fraglich ist.
In letzter Zeit stelle ich auch vermehrt fest, dass mir die Wahrnehmung meiner Person in den Augen anderer wichtig ist. „Warum guckt der Typ mich so komisch an? Bin ich so verdammt hässlich, dass man mich anstarren muss?“ - „Fällt irgendwem auf, dass ich heute ausnahmsweise mal nicht schwarz trage?“ - „Warum hat sie so abfällig gegrinst, als sie mich einen Nerd genannt hat?“ - „Gehe ich meinen Freunden auf die Nerven? Rede ich zu viel? Oder zu wenig?“ - „Niemand hat über meinen Witz gelacht und jetzt herrscht betretene Stille. Kann sich bitte sofort die Erde auftun und meinen unlustigen Kadaver verschlingen?“ Warum? Warum tue ich das? Das war in diesem Maße das letzte Mal in meiner frühen Pubertät so. Irgendwie war ich der irrigen Hoffnung erlegen, dass man diese Kacke mit dem Eintreten in die Zwanziger überwunden hätte. Ist das etwas, das zwischen der Quarterlife-Crisis und der Midlife-Crisis wieder ausbricht? Und während ich schreibe, mache ich schon wieder eine Gedankenkette darüber auf, ob meine Gedanken normal sind. Hallo, mein Name ist Dennis und ich bin ein zwanghafter Zerdenker.
Ich bewundere Menschen, die das Leben einfach auf sich zukommen lassen können. So ganz ohne sich zu sorgen, ohne sich in Existenzängsten zu ergehen, ohne jedes mögliche Szenario vorher durchzuspielen oder ohne vor jeder Entscheidung im Kopf Pro- und Kontralisten aufzustellen.
Andererseits glaube ich, dass man, wenn man sich immer nur treiben lässt, eben nur auf Gelegenheiten und Situationen reagieren kann. So nimmt man gewissermaßen eine passive Haltung ein und muss sich mit dem begnügen, was einem mehr oder weniger zufällig über den Weg läuft. Das Marinieren meines Gehirns sorgt hingegen dafür, dass ich mich auf das Agieren vorbereiten und mein Leben aktiver beeinflussen kann – zumindest ist das mein Eindruck. Wenn etwas schief geht, weil ich die Initiative ergriffen habe und sich eine Situation nicht optimal entwickelt, ist das dann nicht mehr so dramatisch. Schließlich habe ich diesen Fehlschlag in meinem Kopf schon durchexerziert und bin deshalb nicht so getroffen und kann entsprechend damit umgehen.
Dennoch würde es mir gut tun, wenn sich zwischen all diese viel zu tiefgehenden Gedankenspiele gelegentlich ein „Scheiß drauf!“ schleichen würde.
Ergibt das Sinn? Keine Ahnung. Aber ein kleiner tröstender Aufruf an alle Zerdenker_innen da draußen: Ihr seid nicht allein. Und ihr seid nicht verrückt. Naja, vielleicht ein bisschen. Scheiß drauf!
Hel
Als Sighrid die Anrufung beendet hatte, warf sie einen erwartungsvollen Blick auf den steinernen Beschwörungskreis an der Klippe. Er war leer. Sie wandte sich enttäuscht und mit Verzweiflung im Herzen ab und wollte schon den Weg zurück ins Dorf antreten, als plötzlich ein schneidend kalter Wind vom Meer aus den Fjord hinaufheulte und an Sighrids weißblondem Haar riss. Sie fröstelte und blickte zurück zum Kreis. Bleiche Furcht kroch in ihre Knochen. Man hatte ihren Ruf gehört – und war ihm gefolgt. Da stand sie. Hel, die Göttin des Todes. Sie war schön und schrecklich zugleich. Ihre Haut war jung, weich und weiß wie Milch; schien jedoch gleichzeitig zu verwittern wie die die Haut eines Toten. Ihr schwarzes, von Eiskristallen durchsetztes Haar wurde von eisigem Wind gepeitscht, dessen Kälte nicht von dieser Welt sein konnte. Sie trug ein einfaches Kleid aus verschlissener Wolle, beinahe wie eine Sklavin. Und doch war ihre Präsenz so furchteinflößend, dass Sighrid zu zittern begann und sich tief verneigte. Sie spürte die Last des abschätzigen Blickes aus den eisblauen Augen der Göttin. Raureif breitete sich auf dem Gras aus wie ein Leichentuch und Sighrids Atem bildete kleine Dampfwolken vor ihrem Gesicht.
„Es ist eine Weile her, dass ich von einer Hexe kontaktiert wurde. Du duftest nach Macht, Kind. Das ist interessant.“ Die Göttin schritt aus dem Kreis und das gefrorene Gras knirschte unter ihren nackten Füßen. „Erhebe dich.“
Sighrid hob den Kopf und blickte fest in das Antlitz der Hel.
Die Göttin schritt im Kreis um die Hexe herum und musterte sie. „Was willst du, Kleines?“
„Mein … mein Mann. Frotnar. Du rufst ihn und willst ihn zu dir holen. Ich habe es in einer Vorahnung gesehen.“
Hel schmunzelte hämisch. „So etwas dachte ich mir schon. Ich soll deinen Mann verschonen. Diese Bitte ist so anmaßend, dass ich sie schon beinahe amüsant fände, wenn sie nicht so einfallslos und vorhersehbar wäre.“
Sighrid schluckte schwer. „Bitte, Hel. Ich hatte nicht viel Zeit mit ihm und ich trage sein Kind unter meinem Herzen.“
Die Göttin schnaufte verächtlich. „Was fällt dir ein, solch eine Forderung zu stellen und sie dann auch noch so dürftig zu begründen, Hexe?“
„Ich kann dir das Leben eines anderen geben. Bitte, sag mir, wen ich für dich töten soll!“
„Du wirst mir mit jedem Wort, das du von dir gibst unsympathischer, du egoistisches, infantiles Miststück! Vielleicht solltest du lieber schweigen!“
Eine Träne gefror auf Sighrids Wange. „Hel, bitte. Wie soll ich ohne ihn zurechtkommen?“
„Du bist eine Zauberin! Sprich einen Liebeszauber und suche dir einen neuen Mann, wie die einfältige Hexe, die du bist! Das ist doch eure bevorzugte Art, einen Partner zu finden, wenn ich mich recht entsinne.“
Wie konnte sie es wagen, so herablassend mit ihr zu sprechen? Niemand aus dem Dorf würde sich das trauen! Doch Sighrid musste Hel gewähren lassen. Sie war eine Göttin. „Aber ich liebe Frotnar.“
Die Züge der Göttin wurden etwas weicher. „Noch hast du Zeit, Kind. Du hast Glück, denn du hast seinen Verfall gesehen, bevor er begonnen hat. Die Krankheit, die Frotnar in meine Arme führen wird ist noch nicht ausgebrochen – aber das wird bald passieren.“
Sighrid blickte der Hel stoisch ins Gesicht obwohl in ihrem Inneren die letzte Hoffnung zerbrach wie ein irdener Krug.
„Nutze die Zeit, die du noch hast, um deinem Mann zu zeigen, wie sehr du ihn schätzt und um dich von ihm zu verabschieden. Denn seine Zeit auf Midgard ist bald abgelaufen. Die Zeit kann niemand aufhalten – nicht einmal Hexen.“
Plötzlich stand Sighrid allein auf der Klippe. Und während die Kälte langsam aus ihren Gliedern verschwand, war sie unschlüssig darüber, ob sie dem Rat Hels folgen sollte. Sie ballte bebend vor Wut und Hilflosigkeit die Fäuste. Was sollte sie tun?
Sighrids Füße fanden den Weg zurück ins Dorf ohne ihr Zutun während sie ihren düsteren Gedanken nachhing. Als sie an ihrem kleinen Haus ankam, schlug Frotnar gerade Feuerholz und rief ihr eine Begrüßung zu, welche sie mit einem halbherzigen Winken erwiderte.
Sie setzte sich auf die Bank vor dem Haus und beobachtete ihren Mann bei der Arbeit. Nach einer Weile fasste sie einen Entschluss. Die Sonne ging hinter den Bäumen unter und tauchte den Rand des Dorfes und den Wald in einen rötlichen Schein. Außer Sighrid und Frotnar war niemand zu sehen, die anderen bereiteten die Boote für die Raubzüge im kommenden Frühling vor.
Die Hexe erhob sich langsam und leise, während ihr Mann die letzten Holzscheite unter regelmäßigen Hieben spaltete.
Hel wollte Frotnar holen. Sie sollte ihn bekommen, das war ohnehin unausweichlich. Die Zeit konnte sie nicht aufhalten. Doch Sighrid würde nicht dabei zusehen, wie ihr geliebter Mann qualvoll an einer Krankheit zugrunde ging. Mit Tränen in den Augen schluckte ihre Angst herunter, wappnete sich für einen letzten Akt der Liebe und zog zitternd ihr Messer aus dem Gürtel.
Als Sighrid die Anrufung beendet hatte, warf sie einen erwartungsvollen Blick auf den steinernen Beschwörungskreis an der Klippe. Er war leer. Sie wandte sich enttäuscht und mit Verzweiflung im Herzen ab und wollte schon den Weg zurück ins Dorf antreten, als plötzlich ein schneidend kalter Wind vom Meer aus den Fjord hinaufheulte und an Sighrids weißblondem Haar riss. Sie fröstelte und blickte zurück zum Kreis. Bleiche Furcht kroch in ihre Knochen. Man hatte ihren Ruf gehört – und war ihm gefolgt. Da stand sie. Hel, die Göttin des Todes. Sie war schön und schrecklich zugleich. Ihre Haut war jung, weich und weiß wie Milch; schien jedoch gleichzeitig zu verwittern wie die die Haut eines Toten. Ihr schwarzes, von Eiskristallen durchsetztes Haar wurde von eisigem Wind gepeitscht, dessen Kälte nicht von dieser Welt sein konnte. Sie trug ein einfaches Kleid aus verschlissener Wolle, beinahe wie eine Sklavin. Und doch war ihre Präsenz so furchteinflößend, dass Sighrid zu zittern begann und sich tief verneigte. Sie spürte die Last des abschätzigen Blickes aus den eisblauen Augen der Göttin. Raureif breitete sich auf dem Gras aus wie ein Leichentuch und Sighrids Atem bildete kleine Dampfwolken vor ihrem Gesicht.
„Es ist eine Weile her, dass ich von einer Hexe kontaktiert wurde. Du duftest nach Macht, Kind. Das ist interessant.“ Die Göttin schritt aus dem Kreis und das gefrorene Gras knirschte unter ihren nackten Füßen. „Erhebe dich.“
Sighrid hob den Kopf und blickte fest in das Antlitz der Hel.
Die Göttin schritt im Kreis um die Hexe herum und musterte sie. „Was willst du, Kleines?“
„Mein … mein Mann. Frotnar. Du rufst ihn und willst ihn zu dir holen. Ich habe es in einer Vorahnung gesehen.“
Hel schmunzelte hämisch. „So etwas dachte ich mir schon. Ich soll deinen Mann verschonen. Diese Bitte ist so anmaßend, dass ich sie schon beinahe amüsant fände, wenn sie nicht so einfallslos und vorhersehbar wäre.“
Sighrid schluckte schwer. „Bitte, Hel. Ich hatte nicht viel Zeit mit ihm und ich trage sein Kind unter meinem Herzen.“
Die Göttin schnaufte verächtlich. „Was fällt dir ein, solch eine Forderung zu stellen und sie dann auch noch so dürftig zu begründen, Hexe?“
„Ich kann dir das Leben eines anderen geben. Bitte, sag mir, wen ich für dich töten soll!“
„Du wirst mir mit jedem Wort, das du von dir gibst unsympathischer, du egoistisches, infantiles Miststück! Vielleicht solltest du lieber schweigen!“
Eine Träne gefror auf Sighrids Wange. „Hel, bitte. Wie soll ich ohne ihn zurechtkommen?“
„Du bist eine Zauberin! Sprich einen Liebeszauber und suche dir einen neuen Mann, wie die einfältige Hexe, die du bist! Das ist doch eure bevorzugte Art, einen Partner zu finden, wenn ich mich recht entsinne.“
Wie konnte sie es wagen, so herablassend mit ihr zu sprechen? Niemand aus dem Dorf würde sich das trauen! Doch Sighrid musste Hel gewähren lassen. Sie war eine Göttin. „Aber ich liebe Frotnar.“
Die Züge der Göttin wurden etwas weicher. „Noch hast du Zeit, Kind. Du hast Glück, denn du hast seinen Verfall gesehen, bevor er begonnen hat. Die Krankheit, die Frotnar in meine Arme führen wird ist noch nicht ausgebrochen – aber das wird bald passieren.“
Sighrid blickte der Hel stoisch ins Gesicht obwohl in ihrem Inneren die letzte Hoffnung zerbrach wie ein irdener Krug.
„Nutze die Zeit, die du noch hast, um deinem Mann zu zeigen, wie sehr du ihn schätzt und um dich von ihm zu verabschieden. Denn seine Zeit auf Midgard ist bald abgelaufen. Die Zeit kann niemand aufhalten – nicht einmal Hexen.“
Plötzlich stand Sighrid allein auf der Klippe. Und während die Kälte langsam aus ihren Gliedern verschwand, war sie unschlüssig darüber, ob sie dem Rat Hels folgen sollte. Sie ballte bebend vor Wut und Hilflosigkeit die Fäuste. Was sollte sie tun?
Sighrids Füße fanden den Weg zurück ins Dorf ohne ihr Zutun während sie ihren düsteren Gedanken nachhing. Als sie an ihrem kleinen Haus ankam, schlug Frotnar gerade Feuerholz und rief ihr eine Begrüßung zu, welche sie mit einem halbherzigen Winken erwiderte.
Sie setzte sich auf die Bank vor dem Haus und beobachtete ihren Mann bei der Arbeit. Nach einer Weile fasste sie einen Entschluss. Die Sonne ging hinter den Bäumen unter und tauchte den Rand des Dorfes und den Wald in einen rötlichen Schein. Außer Sighrid und Frotnar war niemand zu sehen, die anderen bereiteten die Boote für die Raubzüge im kommenden Frühling vor.
Die Hexe erhob sich langsam und leise, während ihr Mann die letzten Holzscheite unter regelmäßigen Hieben spaltete.
Hel wollte Frotnar holen. Sie sollte ihn bekommen, das war ohnehin unausweichlich. Die Zeit konnte sie nicht aufhalten. Doch Sighrid würde nicht dabei zusehen, wie ihr geliebter Mann qualvoll an einer Krankheit zugrunde ging. Mit Tränen in den Augen schluckte ihre Angst herunter, wappnete sich für einen letzten Akt der Liebe und zog zitternd ihr Messer aus dem Gürtel.
Weil wir dich lieben
Ich steige in den Nachtbus
und die Stille stirbt.
Ich steige in die Tram
und toter Hammel kriecht mir in die Nase.
Ich steige in die Bahn
und stehe zwischen Fleisch und Fleisch gezwängt.
Erlösung und Abscheu gehen Hand in Hand.
Denn meine Bahn ist da.
Ich steige in den Nachtbus
und die Stille stirbt.
Ich steige in die Tram
und toter Hammel kriecht mir in die Nase.
Ich steige in die Bahn
und stehe zwischen Fleisch und Fleisch gezwängt.
Erlösung und Abscheu gehen Hand in Hand.
Denn meine Bahn ist da.